Anhand diverser Fotos lernt man die 450 Millionen Jahre alte Landschaft dort kennen, den Naturpark " Cap de Creus " , bevor sich die Fotografen Maribel Ruiz de Erenchun und Francesc Guillamet mit ihrer Kamera allmählich an die heiligen Hallen herantasten. Zwischen den vielen künstlerisch gelungenen Fotos gibt es immer wieder mehrblättrige Faltblätter mit Spezialinfos, beginnend mit Wissenswertem über das " elBulli ". Dieses Restaurant ist im Besitz von Ferran Adrià und Juli Soler, der dort Geschäftführer ist. Im Restaurant, das nur sechs Monate im Jahr geöffnet ist, speisen jährlich etwa 8000 Personen. Die Gäste können nicht aus einer Karte wählen, sondern jedem Gast werden zwischen 28 und 35 kleine Portionen serviert. Es handelt sich hierbei um Cocktails, Snacks, Tapas-Gerichte, Avant-Desserts, Desserts und Morphings. Letztere sind eine Erfindung des "elBulli", die die Petit Fours als Abschluss eines Menüs ersetzen.
Man lernt auf Fotos die frühen Jahre Adriàs kennen, sieht ihn im Jetzt bei Planungsvorbereitungen und bekommt eine Vorstellung davon, dass Kreativität ohne gute Organisation nicht möglich ist. Im " elBulli" hat man im Laufe der letzten 20 Jahre erkannt, dass es zu nichts führt Dinge erzwingen zu wollen. Kreative Prozesse darf man nicht überstürzen. Stets steckt ein mühsamer Prozess von Versuchen und Fehlschlägen hinter einem Gericht. In den Monaten, in denen das Restaurant geschlossen hat, arbeit Adriá im "elBulli Kochlabor" in Barcelona neue Techniken und Konzepte aus. Unmittelbar vor Saisonbeginn werden diese angewandt und umgesetzt, um so eine neue Auswahl von Gerichten zu kreieren und damit die neue Speisefolge im Jahr festzulegen.
Der Prozess, ein neues Gericht zu kreieren, ist ebenso wichtig, wie das Gericht selbst. Im Rahmen von Kreativsitzungen finden die laufenden Entwicklungsprozesse statt. Kreativität, so weiß man im " elBulli ", heißt nicht zu kopieren, aber man weiß auch, dass es eine feine Grenze zwischen inspiriert werden und kopieren gibt. Nur kreativ sein zu wollen genügt natürlich nicht. Im " elBulli" ist technisches Know-how, Erfahrung, ein gut entwickelter Gaumen, gute Organisation und viele Stunden Arbeit die Basis für alles. Anhand von Fotos und Texten lernt man die Entwicklungsphasen eines neuen Gerichtes kennen. Hierbei ist es wichtig in jedem Entwicklungsstadium die Gerichte für das Kreativarchiv abzulichten. Man liest vom mentalen Gaumen, der durch jahrelange Arbeit im Restaurant, die Aromen und Texturen tausender Zutaten , unzählige Stunden Kochen, durch das Probieren und Experimentieren mit Gerichten entsteht. Diese mentale Datenbank liefert Verknüpfungen, welche helfen die Experimente effizienter zu gestalten.
Man sieht den Logistik-Manager beim Einkaufen und lernt die süße Welt des Albert Adriá, dem jüngeren Bruder von Ferran, kennen. Ausführlich wird erklärt wie das Reservierungssystem funktioniert und es wird das " elBulli-Team " vorgestellt. In einem dieser Faltblätter erfährt man Näheres im Hinblick auf kreative Methoden. Seit 1987 ist die regionale Küche eine große Inspirationsquelle für " elBulli ". Man wird ausführlich über alle Einflüsse anderer Küchentraditionen informiert aber man wird auch hinreichend über die Technik- und Konzeptsuche und die Anwendung von Techniken und Konzepten aufgeklärt. In einem weiteren Faltblatt wird auf die kreativen Methoden Teil II hingewiesen. Die Oberbegriffe lauten: Assoziation, Inspiration, Adaption, Dekonstruktion, Minimalismus, Veränderung der Menüstruktur und Suche nach neuen Zutaten. Beim Lesen des Textes wurde mir rasch klar, was Adrià von allen anderen Köchen unterscheidet und weshalb er - anerkannt- der beste Koch der Welt ist.
Einkäufe beim Weinhändler in Barcelona werden thematisiert. Auch die Geschichte des " elBulli " kommt zur Sprache, in diesem Zusammenhang wird berichtet, das 1996 der Käsewagen angeschafft wurde. Fortan gibt es als Übergangselement zwischen der herzhaften und süßen Welt Avantgardegerichte. Das Menü im " elBulli" besteht aus 4 Akten. Eine fließende Abfolge vieler kleiner Gerichte lässt erahnen, wie schwierig es ist das Gesamtkonzept kreativ auf den Weg zu bringen. Man wird über die Rezepturen für die jeweils auf 10 Personen ausgerichteten Rezepte haarklein unterrichtet. Was ich hier lese klingt selbst für mich, die ich sehr viele Rezepte studiert habe, hochkompliziert. Hier werden " Kürbiskernölbonbons ", " Thai-Nymphen ", " Babyschnecken in Coutz-Bouillon mit Krebs-escabeche und Amerant mit Fenchel ", " Fondue von Seeteufelleber mit Ponzu-Sauce und Kumquat und weißem Sesam " , " Soufflè von Granadilla mit Toffee und Kardamom " u.a.m. kreiert. Seine Ingredienzien, aber auch die Art und Weise wie Adriá eine Speise entstehen lässt, erfüllen mich mit Ehrfurcht. Welch ein begnadeter Kochkünstler!
Interessant ist der Blick auf die elektronische Weinkarte. Nachlesbar sind hier u. a . die beliebten Weine des " elBulli ". Bei den Rotweinen ist übrigens der " Chateau Latour 1982 1er Grand Cru Classé " dabei.
Interessant ist eine Zeichnung des Weges eines Gastes durch das Restaurant , die Bilder des geschäftigen Personals sowie die Infos in Kreative Methoden III. Hier wird verdeutlicht, dass die Sinne der Ausgangpunkt des kreativen Kochens sind. Es werden neue Wege des Anrichtens aufgezeigt und über die Veränderung der Struktur von Gerichten informiert.
Adrià macht deutlich, dass die zeitgenössische Gourmetküche ein Level erreicht hat, auf dem man sie als Ausdrucksmittel bezeichnen und insofern mit der Kunst vergleichen kann. Essen vermag ein körperliches Bedürfnis befriedigen oder ein sinnliches Vergnügen bereiten, aber ein Gericht kann eine Aussage besitzen, die zur Analyse und zum Nachdenken auffordert und so eine tiefere Ebene anspricht. Ein Gericht kommt nach Adrià dann der Kunst nahe, wenn dahinter das Anliegen steht, den Esser in dieser Weise zu involvieren.
Obschon die Speisen im " elBulli " provokant, progressiv und oft überraschend daherkommen, sind sie dennoch in der soliden Kochkunst verankert.
Ein wirklich gelungenes Buch.
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